Schwarzwälder-Bote 13.06.2014

Sie haben Musik im Blut: Anja und Alexander Virág mit ihren Kindern. Foto: Martin Bernklau Foto: Schwarzwälder-Bote
Lebensbilder: Mit ihrer "AWA Villa der Musik" haben Anja und Alexander Virág eine private Musikschule aufgebaut
Von Martin Bernklau Nagold. Ein erfüllter Lebenstraum muss nicht immer auch Reichtum bedeuten. "So wenig Geld habe ich noch nie verdient", sagt Alexander Virag lachend. Zusammen mit seiner Frau Anja hat der Multi-Künstler in Nagold eine private Musikschule aufgebaut.
Nicht nur der drei Virág-Kinder wegen hat "AWA Villa der Musik" in der Emminger Straße etwas von Kunterbunt und Pippi Langstrumpf. Im Januar 2006, am Tag vor der Geburt von Manuel, dem Ältesten, hatte das Paar in einer Zweizimmerwohnung seine Musikschule eröffnet, zwei Jahre später mieteten sie sich in der Emminger Straße ein. Inzwischen unterrichten acht Lehrer dort rund 200 Schüler – von klassisch bis Rock, Pop und Jazz.
Als habe eine Vorsehung die Hand im Spiel gehabt, führten die abenteuerlichen Lebenswege der beiden Künstler aufeinander zu – und nach Nagold. Schon als Fünfjährige hatte Anja Virag das Robert-Schumann-Konservatorium in Zwickau besuchen dürfen. Im Jahr 1985 wiesen die DDR-Behörden die fünfköpfige Familie gen Westen aus, 24 Stunden nachdem der Vater einen Ausreiseantrag gestellt hatte.
Die 14-jährige Anja kam ans damalige Aufbaugymnasium Nagold – "ein Glücksfall, unglaublich schön", sagt sie heute über die musische Schule unter ihrem Lehrer Klaus Melber – und machte 1991 mit dem letzten Jahrgang ihr Abitur. Der Vater drängte sie zu einem Wirtschaftsstudium an der Schwenninger Berufsakademie. Sie schloss das erfolgreich ab, doch schon nach kurzer Zeit im Steuerbüro fühlte sie sich "wie ausgebrannt".
In Afrika kam sie zu sich und wollte fortan "ein bisschen mehr leben". Sie begann in Mainz Medizin zu studieren und jobbte nebenher hoch bezahlt bei der DAX-Berechnung an der Frankfurter Börse. Deren jazzbegeisterter Chef Werner Seifert holte die ausgebildete Pianistin in die Hausband.
Bei einem Abend mit der Mutter im Casino Baden-Baden hatten die beiden Frauen ihren ganzen Einsatz verzockt und trösteten sich in einem benachbarten Lokal über den Totalverlust. Dort saß ein langhaariger Mann am Klavier und sang Sinatras "My way". Es funkte sofort zwischen der Tochter und dem Sänger mit der betörenden Stimme. Alexander Virag kam 1967 als Sohn eines ungarischen Vater und einer schwäbisch-stämmigen Mutter in der damals noch zur kommunistischen CSSR gehörenden slowakischen Hauptstadt Bratislava/Pressburg zur Welt. Schon mit Sieben sang der begabte Junge solo in einer Kapelle, lernte Akkordeon. Einen Korg-Synthesizer für die Karriere des Sohns sparten sich die Eltern regelrecht vom Mund ab. Alexander Virág gründete gleich ein paar Bands, spielte Punk sowie Rock ‘n’ Roll und durfte in der nahen Zoltán-Kodály-Stadt Galanta Musik auf Lehramt sowie russische Literatur studieren. Das Stipendium für das Moskauer Puschkin-Institut und das Tschaikowsky-Konservatorium hätten die Funktionäre dem langhaarigen Rebellen im letzten Moment fast wieder entzogen. Nach der Wende gewann Virág als Sänger, Gitarrist, Komponist und Produzent reihenweise Preise in seiner slowakischen Heimat, schrieb etwa einen Titel für den Grand Prix d’ Eurovision, heute ESC. Des mageren Verdienstes wegen zog es ihn aber in den "goldenen" Westen. In einer Art Never-Ending-Tour – "der Rekord waren 90 Tage nonstop" – quer durch Mittel- und Westeuropa, quer durch die Stile "von Ballermann-Schlager bis zu feinem Jazz" verdiente er eine Menge Geld. Er lernte aber auch die Schattenseiten des Geschäfts kennen. Seine damalige Frau versank in ihrer Drogensucht. Doch dann kam die Begegnung in Baden-Baden. Er coachte die Börsen-Band. Anja Virág ging mit auf Tour mit den "Diamonds", kurzzeitig sogar in die slowakische Heimat ihres Mannes. Und wenig später kam, neben Alexanders Hinwendung zum Glauben, auf einem Spaziergang die Idee und der Entschluss, mit dem Ersparten in Nagold eine Musikschule zu gründen – und eine Familie. Anja und Alexander Virag haben beides noch keine Sekunde bereut. Sie kümmert sich im Moment etwas mehr um die Mädchen Hannah und die einjährige Sarah. Er unterrichtet vor allem klassische Gitarre und Gesang in der Sparte Rock-Pop-Jazz. Das war in Nagold eine Lücke. Jetzt heimsen seine Schüler Preise ein. Mit der Städtischen Musikschule arbeiten die Virágs bestens zusammen. Nur die wundervolle Villa verlassen sie im Spätsommer. Für Ersatz ist schon gesorgt. Sie werden im zentralen Burg-Center ein neues Domizil beziehen.
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